Gespräch mit Karl Stangenberg
Fragesteller: Richard Hörning* Herr Stangenberg, Ihr Name ist mit der Blockflöte verbunden, einem Musikinstrument, das bei vielen als Außenseiter gilt. Ihre musikalische Ausbildung haben Sie doch mit der mordernen Querflöte begonnen. Wie ist es zu dem Schritt gekommen von der hochentwickelten modernen Querflöte zur „historischen“ Blockflöte? Die Entscheidung für die Blockflöte im Sinne eines beruflichen Engagements war – in den vierziger Jahren – keineswegs selbstverständlich, schien doch dieses Instrument, schon auf Grund seiner mutmaßlich einfachen Handhabung, der sogenannten Jugendmusik vorbehalten. Und die Musikausbildungsstätten hatten die Blockflöte dem Liebhabertum, dem Musizierbetrieb „in Schule und Haus“ überlassen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen? Ermutigend wirkte auf mich die Aufforderung Mönkemeyers, der Blockflöte den gleichen Rang zu verleihen, den die Querflöte für sich in Anspruch nahm, den eines klassischen Instruments. Seinerzeit wirkte diese Aufforderung geradezu utopisch. Wenn schon einzelne richtungsweisende Kapazitäten bei der Entscheidung mitgewirkt haben, mußte nicht bei Ihnen notwendig eine persönliche Motivation den Ausschlag geben. Konkret: Was bewegte Sie, sich einem Instrument zuzuwenden, das der Anerkennung in Fachkreisen im Grund entbehrte und das im Konzertleben nicht von vornherein einen gesicherten Platz versprach? Vielleicht übte gerade das Unverständnis mancher „Fachmusiker“ für dieses Instrument einen gewissen Reiz aus, und das nach dem Kriege auch bei uns spürbare ausgeprägte Streben nach Werktreue bei der Interpretation alter Musik. Es erscheint ratsam, bei dem grundlegenden Problem der werkgerechten Aufführung alter Musik zu verweilen; Denn diese Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch die Aufführungspraxis der vergangenen Jahrzehnte. Herr Stangenberg, läßt sich, Ihrer Ansicht nach, ein Musikwerk, Jahrhunderte nachdem es geschaffen worden ist, überhaupt „authentisch“ interpretieren? Ihre Frage enthält mit Recht eine gewisse Skepsis. Ich möchte sie lieber mit „nein“ als mit „ja“ beantworten. Entscheidend ist die Auslegung des Begriffs „authentisch“. Jedenfalls zog selbst Johann Joachim Quantz, der berühmte Zeitgenosse des musikalischen Barock, die „wahre Art“ der Interpretation in Zweifel – nennt er doch sein epochales Lehrwerk über das Querflötespiel „Versuch“. Alles Bemühen um die Echtheit, um Urkundlichkeit der Wiedergabe bleibt eben immer abhängig von Anschauungen des Interpreten und von Zeitströmungen. Sie wollen sagen, dass bei allem Bemühen um Werktreue stets Unwägbares, Zeitbedingtes mitspielt? Die Gesamtsituation läßt sich heute durch zwei Richtungen kennzeichnen, die beide den Anspruch strenger Wissenschaftlichkeit erheben: Die eine mit der Konsequenz der Resignation vor der Praxis überhaupt – sie bescheidet sich mit der visuell – analytischen Betrachtung – weil sie nicht die Möglichkeit einer authentischen Interpretation sieht; Die andere mit der Vorstellung, im Besitze der Mittel zu sein zur Wiedergabe im Stile ebendieser wahren Art. In der Mitte befindet sich eine Reihe unterschiedlicher Spielauffassungen und Lehrmeinungen, und das ist gewiss kein Schein. Sie suchen mithin die Lösung zwischen den Extremen zügelloser Subjektivität und akademischer Indoktrination. Herr Stangenberg, Sie nehmen offensichtlich in Anspruch, dass ein ins Gewicht fallender Spielraum für individuelle Deutungen anerkannt werden sollte. – Welche Bedeutung kommt aber bei der Wiedergabe historischer Musik dem Mittel, dem musikalischen Instrumentarium zu? Die Auffassung über die instrumentale Besetzung alter Musik ist wenig einheitlich. Es lassen sich wesentlich drei Besetzungsarten herausstellen. Allgemein bedient man sich der Instrumente des heutigen Symphonieorchesters. In Konkurrenz dazu bildet sich die Auffassung heraus, dass ausschließlich Originalinstrumente, allenfalls ihre Kopien zuzulassen seien. Die Vertreter dieser Richtung werten es als Vorzug, dass die alten Instrumente im Verhältnis zu den heutigen eine, um etwa einen halben Ton tiefere, „entspannte“ Stimmung haben was einen adaequaten Musizierstil verlangt. Intonisationssysteme, die – nach Bachs wohltemperierter Stimmung – als endgültig überholt angesehen worden sind, werden wieder in Betracht gezogen; sie verbessern bei entsprechender Anwendung den Zusammenklang der Instrumente dieser Art und tragen von Fall zu Fall zur Authentizität der Wiedergabe bei. Muss nicht die Gegensätzlichkeit der Auffassungen über die Wiedergabe der Musik bedenklich stimmen? Durchaus nicht: Die unterschiedliche Interpretation ist der Sache gewiß eher zuträglich. Für den Hörer liegt gerade in den differenzierten Grundansätzen die eigentliche Faszination, und zu der sollte er sich auch bekennen. Sie sprachen von mehreren Wegen; gibt es noch eine dritte Besetzungsart? Das ist die ausgesprochen antihistorisch – provokative Bearbeitung alter Musikvorlagen mit den hypermodernen Mitteln beispielsweise der Unterhaltungsmusik, auch der elektronischen Tonerzeugung, und gerade diese Art der Darbietung, von einer vielschichtigen breiten Hörerschaft anerkannt, ja gewollt, vermag den berechtigten Zweifel am Anspruch auf Ausschließlichkeit und Endgültigkeit eher zu verstärken als auszuräumen. Herr Stangenberg, Sie haben sich allgemein zu Fragen der Stilistik und der instrumentalen Besetzung geäußert, zu Problemen, die sich dem Interpreten alter Musik zwangsläufig stellen, und das vom Standpunkt des Spielers eines Instruments, das ein ausgeprägt historisches Image hat. – Wie ist nun Ihre Worten wiederzugeben? Ich brauche zur Verwirklichung alter Musik in moderner Zeit Offenheit: Ich suche Vielfalt und Differenziertheit zugleich bei voller Respektierung der Erwartungen meiner Hörer, die Musik nicht im Sinne einer reinen Lehre rational – analytisch begreifen wollen, sondern deren Trachten auf das intuitive Erfassen, auf das unmittelbare Erleben der Musik gerichtet ist. * Richard Hörning – Dr. phil. – ehem. MItglied und Auslandslektor der deutschen Akademie (später Goetheinstitut) – nach dem Krieg Kulturreferent der Stadt Passau – später Oberstudiendirektor a.D. in München – langjähriger Kurator und Berater der Capella Monacensis. |
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